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Die „Sagen und Geschichten aus einem kleinen Wasgaudorf“ der Lilo Hagen sind weit mehr als die Hommage an eine kleine pfälzische Gemeinde und ihren 1995 verstorbenen Altbürgermeister Fritz Perret.

Auf 80 Seiten hält Hagen eine längst vergangene Zeit für die Zukunft fest, macht sie leicht lesbar und verständlich. Liebevolle Illustrationen des Malers Erich Löscher geben dem Büchlein einen ganz besonderen Reiz.

In Geschichten wie „Die weiße Schlange“,  „Dr. Katz“ und „Wie der Zigeunerfelsen zu seinem Namen kam“ erweckt Hagen das alte Rumbach wieder zum Leben, strickt um  historische Ereignisse bezaubernde Geschichten wie „Der Obrist“, „Der Wachtmeister“ und „Bundschuh“ und lässt die alten Wasgenwaldbauern mit ihren Lebenserfahrungen und Weisheiten in Geschichten wie „Eine Welt mit liebevollen Augen“ und „Rumbacher Philosophie“ zu Wort kommen. 

Leseprobe:
 
Wie der Zigeunerfelsen zu seinem Namen kam
Eine Weihnachtssage
 
Es mag wohl schon  Über zweihundert Jahre her sein, in Österreich war Maria Theresia noch Kaiserin, der alte Fritz hatte sich verbittert und vom Leben enttäuscht in seinem Schloss bei  Potsdam mit seinen Hunden lebendig begraben und in Zweibrücken herrschte Herzog Karl August II. Über das kleine Dörfchen Rumbach im Wasgau. Es war eine harte Zeit, die Sommer waren  trocken und heiß, die Winter kalt und unwirtlich. Die Menschen  kämpften um das tägliche Brot und zu oft war Schmalhans Küchenmeister in den ärmlichen Hütten.
Weihnachten stand vor der Tür. Mit ihren wenigen Mitteln hatten die Rumbacher ihre Häuser festlich geschmückt. Es duftete nach Tannen, die Dielen waren blank gescheuert und die rußenden Feuerstellen spendeten, was selten genug vorkam, ausreichend anheimelnde Wärme. Wen störte es, dass man nur kurze Zeit vor dem Feuer sitzen konnte, ohne das die Kälte dem Zimmer zugewandten Rücken  empor kroch während das dem Feuer entgegengestreckte Gesicht der Hitze kaum standhalten konnte.
Seid Wochen glänzten die Augen der Kinder voll Vorfreude in Erwartung  der wenigen Gaben, Reichtümer in ihren Augen. Äpfel und Nüsse waren alles, was sie zu erwarten hatten. Vielleicht lag auch bei dem einen oder anderen ein Paar wollne Socken oder gar eine selbstgestrickte Jacke auf dem Gabentisch - die wenigsten der Kinder hatten hochgestecktere Wünsche.
Zur gleichen Zeit zog eine Horde Zigeuner von Bruchweiler her in Richtung des uns heute als Zigeunerfelsen bekannten Gesteinsgebildes. Der scharfe Wind  schlug unbarmherzig in die verkniffenen Gesichter der südländisch aussehenden Menschen, die sich tapfer durch das dichte Schneegestöber kämpften.
Auf ihrem Karren, der von einem mageren Eselchen gezogen wurde lag eine junge Frau wimmernd in den Wehen und erwartete ihr erstes Kindchen. Die alte Muhme, die verzweifelt versuchte das junge Weib vor den heftigen Stößen des holpernden  Wägelchens zu schützen, rief dem Anführer zu, er möge ein Dach finden für sein junges Weib. Der Mann, in dessen Bart sich schon kleine Eiszapfen gebildet hatten, deutete wortlos auf den Felsen, der sich direkt vor ihnen erhob. Mit aller Kraft zerrten sie den Karren in eine windgeschützte Ecke, ihre verzweifelten Versuche Feuer zu entzünden scheiterten an dem feuchten, gefrorenen Holz. Die Alte, in mancherlei Zauberkünsten beschlagen, erleichterte der werdenden Mutter "ihr Geschäft  nach Weiberart", aber sie wußte, dass die junge Frau den kommenden Tag nicht mehr erleben würde, wenn sie nicht ein warmes Dach über dem Kopf für sie finden würden.
Beim ersten Schrei des neuen Erdenbürgers schien das Schneegestöber nachzulassen und das Gesicht des Anführers erhellte sich einen kurzen Moment beim Anblick seines Sohnes. Doch die Sorge um Weib und Kind, die ihm die Luft zum Atmen zu nehmen schien, ließen keinen freudigen Gedanken zu.
Schon bald kam sein jüngerer Bruder zurück, den er ausgesandt hatte das nächste Dorf ausfindig zu machen. Seine Hoffnung  Hilfe zu finden in dem kleinen Ort, nicht weit von den Felsen entfernt, die ihnen notdürftig Schutz vor dem beißenden Wind gewährt hatten, war gering. Zu bitter brannten noch die Demütigungen in dem stolzen Mann die er erfahren hatte auf seiner Suche nach Hilfe.
Die alte Muhme wickelte die mit hohem Fieber kämpfende Frau und das Kind in  feuchte Tücher, vielleicht wohl wissend was sie tat, vielleicht aber auch, weil der Schnee ihr ganzes Hab und Gut durchnässt hatte. Gemeinsam brachen sie auf, hastig und in großer Eile. Die Männer schleppten die Last, um die Frau nicht wieder den Stößen des Karrens auszusetzen. Es dämmerte schon als sie den Ort erreichten.
Kerzen brannten in den Fenstern und der Schnee knirschte unter ihren Füßen, als sie den ersten Hof betraten. Kein Hund schlug an, selbst den hatte man in die Wärme geholt.
Der Mond, rund und bleich hatte sich einen Weg durch die Wolken gesucht, das Schneetreiben hatte aufgehört und so lag es friedlich da, das kleine Dörfchen Über dem majestätisch eine uralte Kirche wachte, die jetzt in das silberne Licht des Mondes getaucht war.
Die feuchten Tücher, die die Frau schützen sollten waren längst zu Eis erstarrt und hüllten sie ein wie ein Kokon den unfertigen Schmetterling. Die Tür des Häuschens wurde geöffnet. Barmherzige Hände nahmen den Männern die Last ab, versorgten
das Kind und die Mutter, die schon am nächsten Morgen ihren Sohn stillen und ihn mit matten aber freudigen Augen betrachten konnte.
Auch die anderen ließ man teilhaben am kärglichen Mahl bevor sie wieder hinauszogen nach Zigeunerart, ihr Lager aufschlagend draußen im Wald. Die junge Frau aber blieb in dem  Haus bis der Wind sich drehte und das erste Grün aus der Erde spross.
Diese Geschichte ist wahrhaftig war, denn der alte Perret Fritz hat sie mir erzählt und der hat die Enkeltochter der großherzigen Menschen noch gekannt, als er selbst noch ein kleiner Knirps und diese schon eine uralte Frau war.
 
 
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