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Vorwort
 
Warum faszinieren Märchen uns? Warum begleiten sie uns oft ein Leben lang, als Kinder den Erzählenden mit Freude und oft auch Spannung lauschend, als Eltern und Großeltern den Kindern und Enkeln ein Stück eigener Kindheit zurückgebend? In ihren Erzählungen verfremden die Märchen Personen und Lebenszusammenhänge. Sie können verklären, grell überzeichnen, Schwieriges in einfachen Bildern darstellen. Kurz gesagt: Sie öffnen uns Augen und Ohren. Plötzlich spüren wir, dass wir eine Wahrheit wahrgenommen haben, die uns bisher verschlossen war, deren Anerkennung uns bisher unzumutbar erschien. Die Lebenswahrheiten werden uns in aller Deutlichkeit erläutert, aber durch die märchenhafte Darstellung erträglich.

So nimmt uns auch unsere Märchenerzählerin Lilo Hagen unbemerkt an der Hand. "Das Sternchen Lara", die Geschichte einer harten, glasklaren Realität. Das Märchen führt uns heran an diese Realität, macht verständlich, erklärt und mahnt. Wir lassen uns anrühren und spüren zum Schluss, dass wir wachgerüttelt sind und uns herausgefordert fühlen. Jedes Märchen - so auch das ‚Sternchen Lara' - will uns eine Lehre sein. Es liegt an uns, ob wir sie befolgen.

Aber unsere Märchenerzählerin will uns nicht nur die Wahrheit darlegen, uns zur Überprüfung unseres Denkens und Handelns herausfordern. Die Geschichte des ‚Sternchens Lara' macht uns auch Mut. Mut, sich selbst anzunehmen, Mut zum gemeinschaftlichen Handeln. Denn nur diese Zuversicht macht unser Leben erträglich.

Danke Lilo Hagen für ‚Das Sternchen Lara'.

Hans Jörg Duppré

Zu diesem Büchlein

Dieses Büchlein entstand anlässlich der Benefizveranstaltung ‚Künstler für Lara', welche die Galerie ‚Die Werkstatt' Erfweiler unter der Schirmherrschaft von Landrat Hans Jörg Duppré am 9. und 10. Juni 2001 ins Leben gerufen hat. Über 50 KünsterInnen und KunsthandwerkerInnen aus der Region und darüber hinaus erklärten sich spontan bereit, kostenlos Exponate zur Verfügung zu stellen, die an dem heutigen Wochenende für Lara verkauft werden. Innerhalb kürzester Zeit gelang es, ein unterhaltsames Rahmenprogramm zusammenzustellen. Die gesamten Einnahmen dieses Wochenendes sind für Lara Naab aus Schindhard bestimmt. Allen die an der Gestaltung der Aktion mitwirken, verzichten auf jegliches Honorar und Gebühren. Eine Auflistung aller Beteiligten würde den Rahmen der kleinen Broschüre sprengen, die Gefahr in der großen Zahl der Beteiligten einen zu vergessen, wäre zudem sehr groß.

Klaus Wolff
Vorsitzender der Werkstatt Erfweiler
Ein Sternchen namens Lara
Ein modernes Märchen von Lilo Hagen
 
Es war einmal ein Sternchen, das hieß Lara, die Lorbeergeschmückte. Lara lebte hoch oben über den Wolken, strahlte so hell wie der Morgenstern, war so lieblich wie die Abendröte und so zauberhaft wie eine Waldfee.
Alle liebten Lara, denn sie hatte ein ansteckendes Lachen, ein großes Herz und ihr Pflichtgefühl ließ es nicht zu, dass ihr Krönchen dunkle Flecken bekam. Von all ihren Geschwistern hatte Lara wohl immer den funkelndsten Stern auf dem Kopf. Und wenn sie nach getaner Arbeit am frühen Morgen mit ihren Geschwistern weit oben am Firmament Fangen spielte, hinter den Wolkenschäfchen hersauste oder mit den Sonnenstrahlen, die sich bereit machten auf die Erde hinabzugleiten, noch ein Tänzchen wagte, dann konnte man das helle Lachen des kleinen Sterns im ganzen Himmelreich hören. Und der alte Vater Mond, der in seinem Lehnstuhl vor sich hinschaukelte, lächelte dann, wie es die alten Leute tun, angesichts so viel überschäumender Lebensfreude.
Laras beste Freundin war die Königin der Nacht, zu der sie oft und gerne ging, denn die große, dunkle Frau wusste viele Geschichten vom Anbeginn der Welt zu erzählen. Viel war an den Augen der weisen Alten vorbeigezogen, manches Leid hatte sie mit ansehen müssen, aber auch viel Freude hatte sie in ihrem Herzen bewahrt. Am liebsten hörte Lara die Geschichte von jener Heiligen Nacht, als der Sohn Gottes geboren wurde, und der Stern von Bethlehem, ein behäbiger, fröhlicher Herr, der nie wieder auf die Erde hatte zurückkehren müssen, den heiligen drei Königen den Weg gewiesen hatte.
Besonders hingezogen fühlte sich Lara zu der schweigsamen, aber umso mächtigeren Frau Sonne. Oft setzte sich das kleine Sternchen schon in der frühen Morgendämmerung auf die goldene Schleppe der golden schimmernden Dame und ließ sich von ihr über das Himmelsgewölbe ziehen. Wie anders sah die Welt doch bei Tage aus! Lara liebte diese Ausflüge. Sie plauderte mit dem Wind, rutschte mit den Wassertropfen und den Sonnenstrahlen auf den Regenbogenbrücken hinunter ins frische Gras und benetzte ihr zartes Gesichtchen mit dem Tau des Morgens. Den Winter nutzte Lara, um mit den Schneeflöckchen auf die Erde zu tanzen. Mit der Gewitterhexe lebte das kleine Sternchen in bestem Einvernehmen, denn niemals ließ sie sich von dem Gezeter der kratzbürstigen Alten abschrecken. Darum wusste Lara auch, das die Gewitterhexe eigentlich eine recht verträgliche alte Muhme war, so lange man sie nicht reizte und sie mit dem fetten alten Donner nicht in Streit geriet. Das passierte leider nur all zu oft und wenn der Himmel dann von ihrem Gezische sprühte, war es auch für Lara an der Zeit, sich blitzschnell zurückzuziehen.
Nun ist es ein altes Gebot, dass immer, wenn ein Mensch sein Leben aushaucht, ein Stern für ihn auf die Erde zurück kehren muss. Auch für Lara würde irgendwann einmal die Zeit kommen, in dem sie den breiten Strom des Vergessens durchschwimmen würde, um anschließend einen schweren und harten Dienst auf der Erde aufzunehmen. Oft schaute sie sich darum in der Welt um, studierte die Menschen, die nichts anderes waren, als gefallene Sterne. Sie hatten die ewige, einzig gültige Wahrheit längst vergessen. Lara bemerkte, dass der ein oder andere sich diese Wahrheit tief in seinem Herzen bewahrt hatte. Die Augen dieser Menschen schienen Sternen gleich.
Da war der alte Fritz mit dem gütigen Herzen, der kleine Tobias, der sich um jedes Vögelchen kümmerte, das aus dem Nest gefallen war. Lara besuchte auch oft das kleine Mädchen, das mit ihrem Lachen die Sonne in die Herzen ihrer Eltern und Geschwister brachte, obwohl sie ein Leben lang an den Rollstuhl gefesselt sein würde. Und den alten Pfarrer, der sich einen Teufel scherte um das irdische Recht, wenn die Gerechtigkeit zu unterliegen drohte, den liebte Lara ganz besonders. Oft saß sie bei ihm in der Kirche und lauschte, wenn er mit seinen Predigten von der Selbstgerechtigkeit und der fehlenden Liebe unter den Menschen wieder einmal auf taube Ohren stieß. Auch die alte Muhme Märchenerzählerin gehörte zu denen, die Lara regelmäßig aufsuchte. Dabei berauschte sie sich an all der Freude und dem Glück, dass die alte Frau in die Herzen derer trug, die sich ein wenig Zeit nahmen, um ihr zuzuhören.
Manchmal passierten auf der Erde schreckliche Dinge, über die man im Himmel nur hinter vorgehaltener Hand zu reden traute. Mit Tränen in den Augen erlebte Lara so manchen großen Krieg, den die Menschen gegeneinander führten. Da gab es diese ungemein wichtigen Generäle, die Tausende in den Tod führten und am Ende nur ihre eigene Haut zu retten wussten. Da gab es Menschen, die ihre Schatzkammern mit immer mehr Geld füllten während auf der anderen Seite der Welt Kinder elend zu Grunde gingen, weil ihre Mütter ihnen kein Brot kaufen konnten. Immer wenn Lara auf ihren Ausflügen solche Gräuel mit ansehen musste, dann saß sie nachts auf ihrem Wölkchen und weinte bittere Tränen. Doch Sternchen die weinen werden trübe und matt. Sie blinken nicht mehr und dass ist eine ganz schlimme Sache. Denn für viele Menschen auf der Welt sind die Sterne immer noch kleine Boten vom lieben Gott. Wenn es ihnen schlecht geht und sie traurig sind, dann können ihnen die blinkenden Sterne am Firmament Hoffnung geben, denn ein Schöpfer, der all diese Schönheit erschaffen hat, wird sich ihrer auch immer erbarmen. In solchen Nächten erinnern sich die Hoffnungslosen ganz tief in sich drin, dass sie auch ein Teil dieses riesigen Universums sind, dass auch ein Stückchen von Gott in sich tragen – und das gibt ihnen Hoffnung und macht ihre Herzen froh. Darum ist es so wichtig, dass die Sterne blinken.
Immer, wenn Lara wieder einmal besonders traurig war, dann wurde sie zum heiligen Petrus bestellt, der ein ordentliches Donnerwetter über ihrem kleinen Köpfchen los ließ. Doch der heilige Peter konnte ihr hundertmal sagte, dass es nicht ihre Aufgabe sei, sich den Kopf über das Leid der Welt zu zerbrechen, dass ihre einzige Aufgabe es sei, ein heller blinkender Bote zu sein. Immer wieder versuchte Lara ihm deutlich zu machen, dass man dem, was auf der Erde so vor sich ging, doch nicht tatenlos zusehen könne.
Und Lara träumte davon, eines Tages, wenn sie den Fluss des Vergessens durchschwommen hatte, ein mächtiger Präsident zu werden. Einer, der mit einem Federstrich all das Leid auf der Erde beenden würde. Lara stellte sich vor, wie es sein würde, wenn sie als berühmter Wissenschaftler mit ihren Erfindungen den Hunger der Kinder stillen würde. Sie glaubte auch fest daran, dass sie eines Tages, wenn sie den Fluss des Vergessens erst einmal durchschwommen hatte, die Macht haben würde, die Botschaft von der Liebe und vom Geben zurück zu bringen in die Herzen der Menschen.
Doch es sollte ganz anders kommen. Eines Tages wurde Lara vor die Frage gestellt, ob sie für einen grausamen Vater das Kreuz auf sich nehmen wolle. Dieser hatte seine Kinder grausam geschlagen, sie an Leib und Seele hungern lassen, hatte seine Mutter verraten, die Mutter seiner Kinder entehrt und ein Leben lang dem Brandtwein die Treue gehalten. Als er im Himmel ankam, war sein Stern ganz schwarz. Nicht das kleinste Funkeln war mehr zu sehen und die Last, die er auf den Schultern trug, war immer größer geworden, je mehr er durch den Fluss des Vergessens dem Himmel zustrebte und er sich seiner eigenen Schuld bewusst wurde.
Lara wussten, dass derjenige unter ihnen, der für diesen schuldig gewordenen Bruder auf die Erde gehen würde, ein schweres Los mit sich nehmen musste. Doch nur wenn einer der zahlreichen Sternchen, die sich jetzt auf dem großen Himmelsplatz versammelt hatten,  bereit war, in die Waagschale der ausgleichenden Gerechtigkeit zu springen, hatte der schuldig gewordene Stern eine Chance, seine Taten gut zu machen.
Und Lara dachte an ihre Pläne, die Welt zu verändern und sprang, ohne noch einmal lange nachzudenken, in die Waagschale. Da hob sich die Seite, auf welcher der schwarz gewordene Stern mit hängendem Kopf auf sein Urteil gewartet hatte. Der heilige Peter legte Stein um Stein in Laras Waagschale. Er benötigte viele dieser Steine, die Lara auf ihrem Lebensweg vorfinden würde, um die Waagschalen ins Gleichgewicht zu bringen. Mit Entsetzen schauten die umstehenden Sternchen auf dem immer größer werdenden Steinhaufen in Laras Waagschale. Kaum hatte sich die Waage eingependelt, begann der dunkle Stern wieder ein wenig zu funkeln.
Alle begleiteten Lara zum Fluss des Vergessens. Ihre Geschwister herzten und küssten sie zum Abschied, der alte Vater Mond wischte sich heimlich eine Träne aus den Augen und selbst der fette Donner schnäuzte geräuschvoll in sein Taschentuch. Der heilige Petrus zog ein Kästchen aus der Tasche seines wallenden Gewandes. „Hier mein liebes Kind, gebe ich Dir den Glauben mit. Was immer auch Dein Schicksal sein mag, Du wirst ihn nie verlieren. Ich habe Dir genügend davon eingepackt, damit Du den Menschen, die Dein schweres Schicksal mit Dir teilen müssen,  von diesem Glauben schenken kannst.“
Auch die Königin der Nacht hatte sich eingefunden, um Lara zu verabschieden. Aus ihrem weiten, dunkelblauen, mit unzähligen silbernen Sternen besetztem Umhang zog sie eine schimmernde Börse. „Hier habe ich Dir die Hoffnung hineingelegt. Was immer Dir geschieht, mein liebes Kind, die Hoffnung wirst Du nie verlieren. Nein, im Gegenteil. Du wirst den Menschen Hoffnung bringen, auch wenn es Dir manchmal auch gar zu unwahrscheinlich erscheint.“
Als Lara schon zaghaft ihre Füße in Wasser setzen wollte, da teilte sich plötzlich die Menge, die am Ufer stand, um den kleinen Stern zu verabschieden. Es bildete sich eine Gasse, durch die langsam und majestätisch die Sonne geschritten kam. Sie verneigte sich tief vor dem kleinen Stern, der sich bereit gemacht hatte, einen Bruder zu retten. Aus ihren goldenen, hell schimmernden Gewändern zog sie einen kleinen, goldenen Ball. „In diesem Ball, mein liebes Kind, befindet sich alle Liebe des Himmels. Was immer Dir auch geschieht, Du wirst immer genügend Liebe im Herzen tragen, um Dein hartes Schicksal anzunehmen. Dein kleines Herz wird wie eine Sonne sein, Deine Augen werden strahlen wie der Morgenstern und Dein Lachen wird die Menschen bezaubern. Was immer Dir geschieht, Du wirst Menschen finden, die Dich lieben, Dich tragen und halten ein Leben lang.“ Die Sonne umarmte den kleinen Stern, der sich von ihr los riss und mutig in den Fluss des Vergessens sprang.
Als Lara wieder aufwachte, war sie in einem kleinen Körperchen gefangen. Sie versuchte ihre Hände zu betrachten, doch sie konnte sich nicht rühren. Sie versuchte ihre Füßchen zu fassen, ohne Erfolg. Und mit der großen Weisheit ganz kleiner Kinder, die immer noch viel von ihrem Sternenleben wissen, erkannte Lara, das die Wege der ausgleichenden Gerechtigkeit keine breiten Autobahnen sind, auf denen wir mit Spitzengeschwindigkeiten sausen können um die Welt zu verändern. Lara erkannte, dass kein Präsident, kein Wissenschaftler und kein Philosoph die Welt jemals verändern wird. Die Straßen, die wir gehen müssen, um die Welt zu verändern sind steinig und dornig. Man holt sich blutende Hände, Füße und Herzen – doch das ist schon wieder eine ganz andere Geschichte.....
 
 
ENDE

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