Der kleine Heinrich ...
... Kindelberger in Uniform ...
... mit Ehefrau ...
... zwei Söhne ...
... und Kindelberger um 1950.
Manche Idealisten habe ich versinken sehen im Strudel der Zeit
 
 
Rumbach: Erinnerungen des Mannes, der von 1920-52 Bürgermeister  war - Vom NSDAP-Mitglied zum Führsprecher genossenschaftlichen Denkens
 
 
Heinrich Kindelberger beschreibt die Ereignisse aus seiner Sicht, und wie alle Menschen, die sich engagieren, hatte er nicht nur Freunde. Doch was immer man heute, 41 Jahre nach seinem Tod, über ihn sagen mag: Er war ein Mensch, der mit viel Herz, einem tiefen Gottvertrauen und unendlich viel Zivilcourage sein Leben meisterte. Menschen, die ihn noch gekannt haben, zeichnen das Bild eines verantwortungsvollen Bürgers, den das Leben gezwungen hat, weit über den Tellerand seines Heimatortes hinauszuschauen.
 
 
Viele Hintergrundinformationen sind nötig, um den Menschen Heinrich Kindelberger und seine Zeit zu verstehen. Bereits 1920, als 35jähriger, wurde er zum Bürgermeister gewählt. Dass er während der Naziherrschaft im Amt blieb, mag man ihm vorwerfen – ein eingefleischter Nazi war er aber sicher nicht. Kurze Zeit nach dem Krieg wurde er von seiner Gemeinde wieder zum Bürgermeister berufen, und er tat das, was sein Leben lang Ziel und Inhalt seines Tuns gewesen war: seinem Dorf zu dienen. Seine Aufzeichnungen stammen aus den frühen 50er Jahren und beginnen mit folgenden Worten:
Wenn die Berge unserer Heimat, wenn die alte ehrwürdige Kirche auf dem Bühl  unseres Dorfes sprechen könnten, sie würden vieles erzählen was sie im Laufe der Jahrhunderte alles erlebt und was schon alles an Menschenfreud und alles an Menschenleid an ihnen vorübergezogen ist.
So aber wissen wir nicht wann und wer der Erste war, der hier den Spaten angesetzt hat um des Leibes Notdurft zu fristen und Brot für sich und seine Familie zu schaffen.“
Über Seiten hinweg hält er Geschehnisse fest, die ihm aus alten Dokumenten, die im Krieg zerstört wurden, noch im Gedächtnis waren. So schildert er folgendes Ereignis:
In den Akten der Gemeinde wird noch ein früherer Pfarrer erwähnt, es war Pfarrer Notter (in Rumbach tätig von 1874 bis 1886), gegen welchen der Gemeinderat Klage erhoben hat. Wegen Beleidigung weil er den Gemeinderat eine faule Bierbankgesellschaft genannt hatte.
Als 1914 der Krieg ausbrach, wurde Kindelberger eingezogen.Mit Bestürzung sah ich ein, daß der Landwirt Heinrich Kindelberger daheim in Rumbach geblieben war und hier nur noch ein ganz unwissender, bedeutungsloser Infanterist Kindelberger sich befand.“ Kindelberger erlebte den ersten Weltkrieg unter anderem in Flandern, wurde zweimal verwundet und kehrte verändert nach Rumbach zurück.
 
Mit 35 Jahren Bürgermeister
„So kam es, dass ich im Frühjahr 1920 zum Bürgermeister der Gemeinden Rumbach und Nothweiler gewählt wurde. Es war für mich damals keine leichte Aufgabe als junger Mensch von 35 Jahren Gemeinderäten gegenüberzustehen. Eines Tages sprach in der damaligen Wirtschaft Görtler ein noch junger aber sehr beredsamer junger Mann über die Gründung einer neuen Bauerngewerkschaft, genannt Freie Bauernschaft, Christliche Gewerkschaft auf Nationaler Grundlage. Seine Ausführungen wirkten für viele so überzeugend, daß sich am gleichen Tage noch eine Ortsgruppe bildete unter der Vorstandschaft meines Vetters Karl Kindelberger. Niemand wußte in Rumbach wohin diese Bewegung eigentlich hinauswollte und es ist eigenartig, daß solche neuen Bewegungen immer in protestantischen Gemeinden zuerst Fuß fassen. Der genannte junge Mann war der später so berüchtigte und schlaue Seperatisten-Sekretär Eggers. Als es offensichtlich wurde wo die Bewegung Freie Bauernschaft eigentlich hinauszielte, löste sich die Ortsgruppe Rumbach in aller Stille wieder auf.
 
Erlebnis mit Separatisten
Einige Zeit später hatte Kindelberger ein Erlebnis mit den Separatisten. Kurz vor uns stellten sie den Wagen quer über die Straße. Aus dem Wagen kam der Separatistenführer Schwab aus Pirmasens mit der Frage: ‚Sind Sie der Bürgermeister? Warum haben Sie die Loyalitätserklärung nicht abgegeben!’ Auf meine Erwiderung, dass ich Ihnen ja bereits geschrieben hätte, schlug er mir meine Erklärung ins Gesicht und hielt mir eine bereits geschriebene Erklärung unter die Nase mit dem Befehl: Dieses hier haben Sie zu unterschreiben." Meine Erwiderung war: "Nur unter Zwang unterschreibe ich diese Erklärung." Nur auf diese Art konnten die Separatisten ihre Stimmen erhalten. Dadurch aber wurde der Widerstand im Volk immer größer und so kam es zu der Schlacht bei Hahnhofen im Iggelheimer Wald kurz vor Speyer, wo zwei Monate später, am 9.Januar 1924 im Wittelsbacher Hof in Speyer, der Separatistenführer Heinz aus Orbis erschossen wurde, der bereits genannte Eggers aber entfliehen konnte. In der Nacht vom 12. auf 13. Februar kam dann der Aufstand in Pirmasens, bei welchem das Bezirksamtsgebäude, in welchem die Separatisten sich eingenistet hatten, in Flammen aufging und dabei der Führer Schwab den Tod fand.“
 
Hochburg des Nationalsozialismus
Nach den Separatisten kamen die Nationalsozialisten: „Bald aber kamen auch die Werber für diese neue Bewegung. Besonders ein Lehrer von Ludwigswinkel, Lehrer H(epp). So schön und wunderbar auch ihr Programm war, ich selbst konnte damals noch nicht mit. Misstrauisch durch die frühere Werbung für die Freie Bauernschaft und ihre Ziele, dann war ich auch ein großer Begeisterer des Reichskanzlers Stresemann, welcher damals schon ein Freundschaftsbündnis mit Frankreich suchte, konnte ich die Verunglimpfung dieses Mannes nicht ertragen. Dann kam noch hinzu, dass gerade durch Lehrer H., dem ehrlichen, rechtschaffenen Menschen dem damaligen Gemeindesekretär Franz Babilon mit Schimpf und Schande seine Stelle in Schönau gekündigt wurde. Bloß weil er ein angeblich guter Katholik war. Eigenartig blieb es hier wieder, dass Babilon in der katholischen Gemeinde seiner Heimatgemeinde entlassen wurde, während er in der protestantischen Gemeinde Rumbach weiterhin Dienst tun konnte. Rumbach entwickelte sich nach und nach zu einer Hochburg des Nationalsozialismus. Besonders die Jugend ging mit Begeisterung zu der neugegründeten Ortsgruppe über und unterwarf sich willenlos all den Befehlen welche an sie herangebracht wurden. Bei Nacht und Nebel fuhren sie in die umliegenden Ortschaften um Werbeschriften und Propagandamaterial auszuteilen. In diesen Ortschaften waren sie mancher Gefahr ausgesetzt. Denn von der katholischen Geistlichkeit wurde die Gefahr erkannt, die dieser Bewegung anhaftete... Es war die Nacht nach der Wahl im Januar, bei welcher die Nationalsozialistische Partei einen gewaltigen Sieg errang. Anläßlich dieses Sieges wurde ein Fackelzug veranstaltet in einer der hintersten Reihe ging auch ich mit dem damaligen Lehrer Reif. Als der Zug am Pfarrhaus vorbeiging in welchem der Pfarrer Stempel wohnte ertönte mit Donnerstimme der Sprechchor: "Deutschland erwache!" Unwillkürlich mußte ich zu Lehrer Reif sagen: "Wenn nur nach dieser Begeisterung keine Ernüchterung erfolgt." Diese Worte wurden von verschiedenen gehört und mir selbst schwer nachgetragen. Das Gleiche geschah am Tag vor dem Besuch Adolf Hitlers in Pirmasens, Oktober 1932. Zwei SA-Männer, Friedrich Bischoff und Friedrich Wingert, beantragten im Namen der Ortsgruppe, Adolf Hitler zum Ehrenbürger von Rumbach erklären zu lassen. Der Antrag wurde mit fünf gegen fünf Stimmen vom Gemeinderat abgelehnt. Der Besuch fand am 1. November 1932 in Pirmasens statt. Die Gemeinde Nothweiler hatte ohne mein Wissen Hitler zum Ehrenbürger von Nothweiler erklären lassen. Einer der stärksten und eifrigsten Werber war der damals in Nothweiler stationierte Zollassistent Arndorfer. So kam das Jahr 1933 mit seinen Wahlen im März, bei welchen Adolf Hitler Reichskanzler und Führer des deutschen Volkes wurde. Eine Änderung in der Gemeindeverwaltung gab es hierdurch nicht... Einige Tage nach der Machtübernahme wurde ich von einem Beauftragten des Staatskommissars Herrn Doktor Caspari in Pirmasens vorgeladen. Man empfing mich dort mit den Worten: ‚Was seid denn ihr für eine Gesellschaft in Rumbach? Seid ihr keine Nationalsozialisten? Wie kommt ihr zu einem jüdischen Rechtsanwalt?’ Auf meine Antwort, was wir in Rumbach sind, hätten sie an den Wahlen ja bereits erkennen können und Rechtsanwalt Doktor Friedländer, den wir in einer Prozesssache betraut, wäre uns als tüchtiger Anwalt empfohlen worden. Es wurde mir befohlen, Doktor Friedländer um Mandatsniederlegung zu ersuchen und einen deutschen Rechtsanwalt in Anspruch zu nehmen.
Der erste und zweite Bürgermeister sämtlicher Gemeinden wurden nach Kaiserslautern vorgeladen. Die Tagung fand in der Fruchthalle in Kaiserslautern statt. Es überläuft mich heute noch ein Schauer, wenn ich an jenen Tag zurückdenke, denn ich war einer der wenigen noch früheren Bürgermeister und auch einer der wenigen, die noch keine Uniform trugen. Die gemeinsten Schimpfwörter wurden ihnen gegenüber gebraucht. Die Aufforderung: "Nehmt Stricke und hängt sie auf!" wurden immer wiederholt. Nur zu meinem Kollegen Bins konnte ich noch sagen jetzt erst recht nicht: nur einer von ihnen soll mir jetzt beweisen, daß ich ein Spitzbub oder ein Lump bin. Meine ganze Kraft habe ich jederzeit für die Gemeinde eingesetzt und meine Weste rein gehalten. Wohl ist die Regierung, welcher ich meinen Eid geleistet hinweggefegt und eine andere an ihre Stelle getreten. Wenn ich meiner Gemeinde dienen will, so bin ich auch der neuen Regierung unterstellt. So kam auch für mich der Antrag, mich in die Partei aufnehmen zu lassen.
Im Oktober wurde ich mit Datum 15. Mai 1933 in die Partei aufgenommen.
... Nie werde ich die Worte des damaligen Stabsleiters Herbert vergessen, mit welchem ich mich über alle meine Zweifel unterhielt, wo er mir sagte: "Ja, Kindelberger, wenn Sie auf diese Leute schauen wo schlechter sind. Wir dürfen nur auf die Menschen schauen wo besser sind wie wir und uns nur diese zum Vorbild nehmen. Nur dann werden wir das Ideal erringen was uns vorschwebt." Manchen Idealisten habe ich aber versinken sehen im Strudel der Zeit. So war es in fast allen Fällen. Die Jugend wollte man von der Jugend erziehen lassen, das Wort der Eltern sollte nichts mehr gelten und als veraltet beiseite gestellt werden... Der Glaube der Väter wurde verulkt, aber nirgends konnte etwas Besseres geboten werden...
Von den Ortsgruppenleitern wurde uns unter Bewahrung größten Stillschweigens gesagt, daß es wohl Krieg gebe, aber versichert, daß dieser nur kurze Zeit dauern würde. Während in dieser Zeit unsere Grenzdörfer geräumt werden müßten. Alle Vorkehrungen für eine sichere Unterkunft seien bereits getroffen. So wurden auch hier in aller Stille unter Auferlegung strengster Schweigepflicht die erforderlichen Maßnahmen getroffen.“ Es kam der Krieg, die Evakuierung der Grenzdörfer und endlich der sehnlich erwartete Frieden.
„Nachmittags sprachen wir wiederholt vor und wurden auch von dem amerikanischen Kommandanten empfangen. Ganz erstaunt fragte er uns: ‚Ja wißt ihr das nicht, daß alle Dörfer längst der Grenze endgültig geräumt werden?’ Und an Hand der Karte zeigte er uns, daß die Dörfer Nothweiler und Hirschthal unter die Räumung fallen. Er erklärte uns weiter, man wolle eine tote Zone schaffen... Wer es war, der diesen Räumungsplan zunichte machte, ist uns bis heute ein Rätsel geblieben.“
 
„Ich war Parteimitglied“
Am 16. März 1946 wurde in Pirmasens im Beisein französischer Offiziere beim Landrat die Bürgermeister vereidigt. „ ... alle anderen hatten schon monatelang vorher ihren politischen Fragebogen wiederholt eingesandt, so daß er über die Person jedes einzelnen auf das Genauste hätte informiert sein müssen. Um ja nicht irre zu gehen, hatte ich mich am Tage vor der Vereidigung telefonisch befragt, ob ich an der Vereidigung teilnehmen soll, worauf ich die Antwort erhielt, daß ich an der Vereidigung teilnehmen müsse. Auf Grund dieser Rede des Landrates Schohl, konnte ich mich nicht enthalten zu sagen: "Ich war Parteimitglied." Und daraufhin (sagte) ein weiterer dasselbe, während alle anderen stille schwiegen. Auf diese Aussage hin wurden wir zwei von der Vereidigung ausgeschlossen. Am Abend des gleichen Tages berief ich nocheinmal den Gemeinderat und erklärte ihnen die Sachlage, und bat sie, zu beschließen, wer als Bürgermeister provisorisch die Stelle bis zur Wahl führen solle... und schlug dem Gemeinderat  den Gemeindesekretär Babilon vor. Später wurde Babilon Bürgermeister in Schönau, und Heft Jakob wurde zum Bürgermeister von Rumbach gewählt. Bei der Gemeinderatswahl 1948 wurde ich, obwohl ich noch nicht wählbar und meine politische Säuberung noch nicht durchgeführt war, mit 13 gegen 1 Stimme wieder zum Bürgermeister gewählt und auch vom damaligen Landrat anerkannt...
Jetzt, nach meiner zweiten Amtsübernahme, galt es, eine Unmenge von Arbeit in der Gemeinde zu bewältigen. Da auch die Einnahmen mit der zunehmenden Erhöhung der Holzpreise sich steigerten, konnte man all die Arbeiten an den Kriegsschäden ohne Unterbrechung durchführen. ... Nur dann, wenn dem Menschen von Jugend auf mit allen Mitteln für seine geistige und wirtschaftliche Fortbildung gesorgt wird, kann man wieder ein gesundes und zufriedenes Volk erziehen. Dabei muß unter allen Umständen dafür gesorgt werden, dass der Gedanke nicht mehr hochkommt, dass man auch leben kann, ohne arbeiten zu müssen. Der übersoziale Gedanke wird immer ein zweischneidiges Schwert bleiben.“
 
„Wald neu einteilen“
Kindelberger spricht sich am Ende seiner Aufzeichnungen für Genossenschaften aus und bezeichnet genossenschaftliches Denken als Mitarbeiten und Mitdenken und verurteilt das bloße Kritisieren.
Aus diesem Grunde habe ich auch eine Verpachtung der Gemeinderöder, welche sich zur Aufforstung eignet, auf langjährige Dauer vorgeschlagen. Damit könnte jeder Einzelne, wohl mit einiger Arbeit, sich ein Wertobjekt schaffen, welches in jeder Hinsicht ihm jederzeit eine bessere Existenzgrundlage bieten wird. So, wie die Gemeinderöder jetzt genützt wird, geht sie nur einer totalen Verwilderung entgegen. Dem wird entgegengehalten, daß auch die Gemeinde die Röder selbst nutzen könne. Der Gemeindewald wird aber jederzeit in seiner jetzigen Größe die Ausgaben der Gemeindeverwaltung finanzieren können.
Nicht nur der Gemeindewald, sondern auch der gesamte Privatwald, sowie Gemeinderöder und landwirtschaftlich bebautes Land, gehört umgelegt und heutigen Verhältnissen entsprechend, neu eingeteilt. zur Finanzierung des gemeindlichen Haushalts die Erträgnisse des Gemeindewaldes voll und ganz ausreichen müssen. Alles übrige Land gehört unter eine planmäßige Bewirtschaftung der Menschen, welche sich mit der Arbeit auf Grund und Boden befassen und zur Ernährung unserer Bevölkerung, sowohl in guten wie auch in schlechten Zeiten, ihre Arbeit leisten.“
Hier enden die Aufzeichnungen des Bürgermeisters Heinrich Kindelberger, der am 17.2 1955 starb.
 
 
Die Zeichnung von Kindelbergers Geburtshaus stammt von Erich Löscher. Es ist das vorletzte Haus auf der rechten Seite Richtung Fischbach.
veröffentlicht in:
Die RHEINPFALZ
vom 15. November 1997
© Lilo Hagen