Fritz Perret mit 92 Jahren.
Zeichnung: Uwe Herrmann
 Rumbachs Ehrenbürger Fritz Perret
Mit tiefgründigem Humor und unglaublichem Wissen gesegnet 
 
Fritz Perret konnte die Menschen bezaubern – Rumbachs Aufschwung während seiner 15jährigen Amtszeit – Während der Evakuierung in Drittelbrunn 
 
 
Als der Rumbacher Altbürgermeister Friedrich Perret im Februar 1996 seine Augen für immer schloss, da waren die gehaltenen Grabreden mehr als pure Höflichkeit. Man trauerte aufrichtig um einen Menschen, wie ihn nur der pfälzische Boden hervorbringen kann und dessen Leben geprägt war vom Dienst an seinen Mitmenschen.
Getragen von einer tiefen Menschenliebe, dabei nicht blind für die Schwächen seiner Lieben, stellte Fritz Perret bis zu seinem Ende das Glück der anderen über sein eigenes Wohlergehen. „So einen wie ihn wird es nie wieder geben“, sagen nicht nur die Enkel des Mannes, der am 1. August 2004 einhundert Jahre alt geworden wäre und der bis zum Schluss mit einem tiefgründigen Humor und einem unglaublichen Wissen bezaubern konnte.
Perret gehörte zu den maßgebenden Politikern der Nachkriegszeit. 1952 wurde er in den Rumbacher Gemeinderat gewählt. Von Juli ’59 bis Juli ’69 war er Beigeordneter und von Juli ’69 bis ’72 Bürgermeister der Gemeinden Rumbach und Nothweiler. Nachdem Nothweiler eine eigenständige Gemeinde geworden war, blieb er bis 1984 Bürgermeister von Rumbach. Von 1974 bis ’79 gehörte er, damals eigentlich schon ein Senior, dem ersten Verbandsgemeinderat an und war so für die neugegründete Verbandsgemeinde Dahn ein Mann der ersten Stunde.
Während der 15 Jahre seiner Amtszeit als Ortsbürgermeister erlebte Rumbach einen außerordentlichen Aufschwung. Gekrönt wurde das Engagement Perrets für die kleine Gemeinde im Frühjahr 1984, als Rumbach zum staatlich anerkannten Erholungsort wurde. Ein Jahr später siegte Rumbach im Wettbewerb „Unser Dorf soll schöner werden“ auf Kreisebene.
Perrets Verdienste würdigte das Land bereits 1976 durch die Verleihung der Ehrennadel und 1994 machte ihn seine Heimatgemeinde Rumbach anlässlich seines 90. Geburtstages zum Ehrenbürger.
Fritz Perret wurde gegen Ende einer 40 Jahre währenden Friedenszeit geboren, die nach dem deutsch –französischen Krieg 1871 begonnen hatte. Im Bewusstsein der Bevölkerung hat sich diese Zeit lange als die „gute, alte Zeit“ erhalten. Zwar war sie für die einfachen Waldbauern sicher kein Zuckerschlecken, doch der Sieg über die Franzosen hatte das Elsass deutsch werden und den Wasgau von der Grenze weg rücken lassen, wovon die Grenzregion nicht nur wirtschaftlich profitierte.
Als ältester von vier Geschwistern, die beiden Schwestern Emma und Hedwig erfreuten sich 2004 trotz ihres biblischen Alters noch bester Gesundheit, wuchs Fritz im Schatten der alten Dorfkirche auf. Nur wenige Rumbacher leisteten sich damals den Luxus, mehr als zwei Kinder in die Welt zu setzen. Familien mit reichem Kindersegen waren meist gezwungen auszuwandern, denn der Boden war zu karg, um mit dem Ertrag viele Mäuler stopfen zu können. Dabei führten die Altvorderen schon in diesen Tagen Kalender über fruchtbare und unfruchtbare Tage, man lebte mit dem Vieh und zog aus allzu offensichtlichem die entsprechenden Rückschlüsse. Ein Vorteil für die Familienplanung war dabei sicher auch, dass man in der rein protestantischen Gemeinde Rumbach die Sache mit dem Kinderkriegen von jeher aus einem etwas anderen Blickwinkel sah, als in den katholischen Nachbargemeinden.
 
Ein Klassenfoto mit Fritz Perret aus dem Jahre 1910. Perret ist der vierte von rechts in der ersten Reihe.
Klassenfoto aus dem Jahre 1910
Perrets Vater, Friedrich II., war Spross einer noch recht jungen Rumbacher Familie, die Mutter, Luise Jacky, stammte aus Gebüg. Der Großvater vom Fritz, Friedrich I., war mit Karoline Neuhart aus Rumbach verheiratet und stammte selbst auch schon aus Rumbach, doch sein Vater, ein Conrad Perret, hatte in Spirkelbach gelebt, bevor er nach Rumbach gekommen war. Wann er geboren worden ist, konnte nie ausfindig gemacht werden.
Das wohl älteste noch erhaltene Klassenfoto aus Rumbach aus dem Jahre 1910 zeigt in der ersten Reihe den Perret Fritz. Das Foto hat ihn für alle Ewigkeiten festgehalten, diesen kleinen, zarten Erstklässler, der sittsam und ganz ernst in der ersten Reihe auf dem Boden hockt. Er hat ein feines Gesichtchen, das ihn von den meisten seiner Klassenkameraden unterscheidet. Die Aufnahme entstand im Hof der alten Einnehmerei, in der noch bis zur Einweihung der neuen Schule Anfang der 1950er Jahre, die Rumbacher Kinder unterrichtet wurden.
Der Lehrer mit dem ordentlich getrimmten Spitzbart hieß Göttmann, war aber nicht verwandt mit der Familie gleichen Namens, die heute noch in Rumbach wohnt. Schon der Vater vom Perret Fritz ging 1880 bis 1887 bei diesem Lehrer Göttmann, der 1914/14 pensioniert wurde, zur Schule.
Wenn man Perret Fritz aufgrund seines fundierten Wissens Komplimente machte, sagte er: „Ich habe doch nur die Volksschule besucht.“ Grundlage seiner umfangreichen Kenntnisse war sein altes Schulbuch, das er hütete wie einen Schatz. „Doch es gibt immer noch Dinge, die können wir einfach nicht begreifen. Fass mal das Liebhaben an“, sagte er einmal in einer Diskussion über die menschlichen Unzulänglichkeiten im Allgemeinen.
Als Schuljunge musste der kleine Fritz dem Schullehrer jeden Tag eine Kanne frische Milch bringen. Das tat er gern, denn Anna, die Tochter des alten Lehrers, die ihren Vater seit dem Tod der früh verstorbenen Mutter versorgte, war immer recht freundlich und reichte ihm stets eine Süßigkeit für seinen Dienst.
Zucht und Ordnung waren zu Perrets Zeiten noch Erziehungsmaxime, von denen mancher Kinderpopo ein Lied singen konnte. Hinzu kam, dass die Kleinen schon recht früh in den Arbeitsprozess mit einbezogen wurden. Saat und Ernte waren noch reine Handarbeit, statt Motorenlärm klang in der Erntezeit das Hämmern der Sensendengler durchs Dorf und im Winter das rhythmische „Klipp-Klapp“ der Dreschflegel.
Glück, das war für die Kinder, deren Leben im Gleichklang der arbeitsreichen Tage wie im Fluge verging, die Fahrt auf dem hochbeladenen Heuwagen im Sommer, das Ausschlecken des Latwerg-Kessels im Herbst und dazu kam die wochenlange Vorfreude auf Weihnachten, Ostern und die Kerwe.
Wenn die Arbeit auf dem Felde getan, das fertig gekochte, glänzende Latwerg in gewaltige Töpfe aus Steinzeug abgefüllt und das Schwein geschlachtet war, dann kam in Rumbach im Oktober die Kerwe. Das war ein richtiges Volksfest, an dem sich alle beteiligten, die Verwandten von „auswärts“ wurden eingeladen und gut bewirtet. Die Kerwe brachte das einzige große Tanzvergnügen des Jahres in den Saal des Gasthofes „Kern“ im Dorf. Es war ein schöner Abschluss der arbeitsreichen Sommer- und Herbstzeit und es dauerte meist drei Tage, ehe die Kerb wieder zu Grabe getragen werden konnte.   
Die Weihnachtszeit war eine Zeit der Stille und des Ausruhens. Nur den Kindern wurde am Heiligen Abend etwas beschert. Neben den Äpfeln und Nüssen fand sich meist ein neu gestrickter Pullover, neue Wollsocken, ein Paar neue Holzschuhe und manchmal auch ein Paar neue Lederstiefel. Die Alten, Eltern und Großeltern, hatten ihren Anteil an der Freude der Kinder.
Arbeiten musste der Perret Fritz ein Leben lang, geschenkt wurde ihm sicher nichts. Als nach dem ersten Weltkrieg die Wasgauwaldbahn von Bundenthal nach Ludwigswinkel als Reparationsleistungen für die Franzosen gebaut werden musste, da war er mit dabei. Doch nicht lange, ausnutzen ließ er sich nicht. „Sie haben so wenig bezahlt, da bin ich weg“, sagte er einmal.
 
Nachbarkind Anna Engel wurde 1933 Fritz Perrets Ehefrau.
Während des Krieges: Anna, hier mit ihrem jüngsten Sohn Werner. 
Stiller Widerstand der Bevölkerung
Wenn er zu erzählen begann, glich er einem orientalischen Märchenerzähler, der längst Vergangenes zu neuem Leben zu erwecken versteht. Dann füllte sich der kleine Bahnhof in Bundenthal mit neuem Leben. Und Perret berichtete von dem stillen Widerstand der Bevölkerung gegen diese Bahn, erzählte, wie die Leute aus den umliegenden Dörfern in der Nacht den Boden unter den Eisenbahnschwellen unterhöhlt haben, um sie zu verhindern. Der Verladeplatz füllte sich wieder mit angstvoll wiehernden Pferden, Proviantkisten, Heuballen und Brennmaterial, das auf die Güterwagen gehievt wird und darauf wartet, in das riesige Truppenlager nach Ludwigswinkel gebracht zu werden. Ein Truppenlager, das die Deutschen, ebenso wie die Bahn, für die Siegermacht Frankreich nach dem Ersten Weltkrieg bauen mussten.
Anfang der zwanziger Jahre half Perret dann beim Bischoff, einem Rumbacher Bauunternehmer, mit. Zuerst bereitete er den Speis, später mauerte er auch selbst. Als sich der alte Mann Mitte der achtziger Jahre zur Ruhe setzte, gab es in Rumbach kaum ein Haus, an dem er nicht mitgearbeitet hatte.
1924 half er die alte Post abreißen. Als die Bahn fertig gebaut war, ließ er sich als Streckenwart anheuern. Oben auf der Rumbacher Höhe kreuzten sich die Züge, der, der von Ludwigswinkel runterfuhr mit dem, der von Bundenthal raufkam. Dort gab es ein kleines Telefonhäuschen, gerade so einen Meter auf einem Meter aus Wellblech. Oft ist der Perret Fritz in das Häuschen rein, hat die Kurbel des Telefons gedreht und unten im Bundenthaler Bahnhof angerufen. Sobald sich der Stationsmeister „hier Bahnhof Bundenthal, Fröhlich“, meldete, antwortete Perret: „Hier Wasserscheide, Traurig.“ – „Wart Fritz“, habe der Fröhlich dann immer gesagt, „wenn ich dir raufkomm’.“
1930 kam mit der Befreiung der Rheinlande und dem Abzug der Franzosen in Ludwigswinkel das Aus für die kleine Bahn. Am 31. Oktober fuhr das den Menschen inzwischen ans Herz gewachsene Bähnel mit Dampflok und Salonwagen zum letzten Mal von Ludwigswinkel nach Bundenthal. Kurz vorher feierte der Perret Fritz noch einmal ausgiebig Kerwe beim „Kerne“.
Drei Jahre später führte er Anna Engel, die Liebe seines Lebens, zum Traualtar. Anna und Fritz waren Nachbarskinder, sie stammten aus dem Haus in der Ortsstraße, das heute die Hausnummer 26 trägt. Natürlich haben sie in der Rumbacher Kirche, die damals noch „St.Gangolfs Kirche“ hieß, geheiratet. Damit ging nicht nur eine, wenn auch mit viel Arbeit verbundene, unbeschwerte Jugend zu Ende. Mit dem Jahr 1933 brach ein tausendjähriges Reich an, das zum Glück für alle Beteiligten dann doch nur 12 Jahre dauern sollte. Die Nazis erklärten die Region zur „Roten Zone“, 1939 wurde Rumbach evakuiert. Perret war mit seinen Leuten ein Viertel Jahr in Drittelbrunn bei Schweinfurth. Dort arbeitete er im Städtischen Elektrizitätswerk.
 
In Polen stationiert
Nach dem Frankreichfeldzug durften sie wieder heim. Im Mai 1940 musste er dann doch zu den Soldaten. Er war in Polen stationiert, in Posen und Warschau. Das, was er in diesen Jahren erlebte, veränderte den Menschen Fritz Perret. 1948 kam er aus der Gefangenschaft zurück. Die, die nicht im Krieg gewesen waren, hatten ihre Häuser bereits wieder aufgebaut. Das Haus der Perrets war geplündert. Fritz hatte keine Axt, keinen Pflug, rein gar nichts mehr, doch Anna und die Buben Horst und Werner waren gesund – das war erst einmal die Hauptsache. Und sie hatten eine Kuh. „Dafür hat Anna dem Nachbarn eine Wiese geben müssen“, erzählte der Alte.
Ja, die Anna, die hatte ein Rezept, nach dem sie zehn Liter Bier brauen konnte. Oben an der Kirche hat sie dann den benötigten Hopfen geholt. Diese Hopfenstöcke waren Überbleibsel der Hopfenfelder, die im 19. Jahrhundert von der Brauerei Kern angelegt worden waren. Noch bis kurz vor der Jahrhundertwende 1900 wurde in Rumbach in größerem Stil Bier gebraut.
Sein Schöppchen hat er geliebt, bis zum Schluss, der alte Mann, der so viele Geschichten zu erzählen wusste, wie „Die Glocken an der Adelsnadel“, „Die weiße Schlange“, „Der Zigeunerfelsen“ und „Der Christkindelfelsen“. Für ihn war nie wichtig, was man hat, sondern immer nur, was man ist. Darum liebten ihn die Menschen, so wie er die Menschen liebte. 

Das Wappen der Familie Perret
 
Aus dem Berner Oberland
 
Das Geschlecht der Perrets stammt aus dem Berner Oberlandgelegenen Saanen. Schon früh siedelten zahlreiche Einwanderer aus der Schweiz in der Pfalz, einige kamen nach Rumbach. So auch der 1813 geborene Urgroßvater vom Perret Fritz, der Conrad, der sich in Spirkelbach niederließ. Bevor es ihn nach Rumbach zog, war er sieben Jahre Soldat bei Napoleon III. Soldat gewesen. Sein Entlassungsschein „Der Abschied“ war in französisch geschrieben und war nach dem letzten Krieg nicht mehr aufzufinden.
Ein altes Wappen zeigt einen in Weiß über grünem Dreinerg nach rechts steigenden schwarzen Steinbock. Es geht auf das Siegel des Michel Perret von Saanen aus dem Jahr 1657 zurück.
Das in der alten Mundart auch als „die Perreta“ bezeichnete Geschlecht erscheint unter dem Namen „Perneret“ zum ersten Mal im Jahr 1276 in einem Steuerverzeichnis von Oesch und Umgebung. In Saanen war um 1360 ein Jakobus Perreta begütert und Ruoff Perroton vertrat 1403 die Landschaft Saanen bei der Erneuerung der Bürgerrechtsverträge mit der Stadt Bern. 
 
 
veröffentlicht in:
Die RHEINPFALZ
vom 31. Juli 2004
© Lilo Hagen