Nur der Donnerstag war schießfreier Tag
Das französische Truppenlager in Ludwigswinkel - Die Baukosten von 13 Millionen Goldmark musste Deutschland bezahlen

Der Hauptbau des Truppenlagers: Hier war der Stab mit einem General an der Spitze untergebracht.

Eng verbunden mit der Wasgauwaldbahn, die Bundenthal mit Ludwigswinkel verband, ist das Truppenlager Ludwigswinkel, denn ohne dieses Truppenlager wäre die Wasgenwaldbahn, ebenfalls eine Reparation des Deutschen Reiches für den verlorenen Krieg, nie gebaut worden.

Nach dem 1. Weltkrieg hatten die Franzosen den alten preußischen Truppenübungsplatz bei Bitsch übernommen und wieder belegt. Da sich Bitsch aber für die Erprobung der neu entwickelten Langrohrgeschütze als zu klein erwies, forderten die Franzosen eine Erweiterung des Schießplatzes nach Norden und Osten, was die bayrische Forstverwaltung rigoros ablehnte.

Darauf requirierten die Franzosen das Gelände östlich des Übungsplatzes bis hin zum Bahnhof Rumbach-Bundenthal. Grundlage hierfür waren die Artikel 428-432 des Versailler Vertrages, wonach Frankreich als eine an der Besetzung des Rheinlandes teilnehmende Macht das Gebiet bei Ludwigswinkel sowie zahllose andere Objekte für die Dauer der Besatzungszeit requirieren konnte. Ludwigswinkel lag in der dritten Besatzungszone, die 15 Jahre lang besetzt werden sollte.

Die Franzosen beschlagnahmten eine 30 Quadratkilometer große Fläche „die bei Fischbach beginnt und sich westwärts bis nach Eppenbrunn hinzieht. Im Norden geht sie bis zum Ebet, zur Hohen List und zum großen Biesenberg hin. Im Süden bis zur Grenze nach Lothringen. Dort bildet der Truppenübungsplatz Bitsch die ideale Verlängerung dieses Geländes, denn die Franzosen schießen sogar von diesem Platz bis weit in das deutsche Gelände hinein. In der letzten Zeit liefen sogar Gerüchte um, dass die Franzosen dieses Gelände im Wege einer Grenzregulierung erhalten sollen", schrieb die Pirmasenser Zeitung in jenen Tagen.

119 Hektar Eichenbestand mussten abgeholzt werden, um Übungsplätze für Infanterie und Artillerie zu schaffen. Die Truppen benötigten Platz, um das Werfen von Handgranaten und das Schießen mit dem Maschinengewehr zu trainieren, die Artillerie richtete zudem Einschlagplätze ein. So standen unter anderem am Bahnhof Bundenthal-Rumbach französische Eisenbahngeschütze, die 30 Kilometer weit in das Artilleriezielgebiet schossen. Und das täglich von Februar bis Oktober, lediglich donnerstags wurde den Anwohnern ein schießfreier Tag gegönnt. „Bei Bundenthal hält die französische Besatzung ihre Schießübungen mit schweren Geschützen in Richtung Ludwigswinkel ab. Der Einschlagplatz ist von dieser Stelle rund 30 Kilometer entfernt", heißt es dazu in der Pirmasenser Zeitung.

Für den Bau des Lagers richtete die Reichsvermögensverwaltung Koblenz eine Außenstelle ein. Dieses sogenannte Reichs-Neubauamt hatte anfänglich seinen Sitz in der Rumbacher Gaststätte Kern, in deren Gasträumen sich das gesamte Dienstgeschäft der Beamten und Mitarbeiter abspielte. Begleitumstände waren Saufereien und jede Menge Bestechungen, denn der Bau des Lagers brachte Arbeit und Aufträge auch für Zivilisten.

1920 gaben die Franzosen einen fertig ausgearbeiteten Plan an das Reichs-Neubauamt, nach dem das Lager gebaut werden sollte. So forderte man für eine ständige Belegung des Camps mit einem Regiment Infanterie und einer Abteilung Artillerie ein massiv gebautes Haus für einen General, eines für den Lagerkommandanten, eins für den Putzmajor, eine Kaserne für die Wachkompanie und ein Krankenhaus. Für die übrigen Bauten, dazu gehörten Wohnbaracken, Küchen, Waschräume, Magazin, Kantinen, Soldatenheime, Offiziers- und Unteroffiziersmessen, Ställe, Wach- und Arrestgebäude, Fahrzeugschuppen und Werkstätten, erlaubte man eine Ausführung in Holz.

Im September des gleichen Jahr richteten zwei Abgeordnete der Volkspartei folgende Anfrage an die Reichsregierung in Berlin: „Wie wir hörten, beabsichtigt die französische Besatzungsbehörde in der Pfalz, unmittelbar anschließend an den auf lothringischem Boden liegenden Truppenübungsplatz Bitsch, ein großes Gelände mit prachtvollstem alten Waldbestand auf deutschem Boden zwischen Ludwigswinkel und Eppenbrunn als Exerzierplatz zu beschlagnahmen. Die Kosten, die dem Deutschen Reich hierdurch erwachsen, werden auf 200 Millionen Mark geschätzt. Ist der Reichsregierung diese Absicht der französischen Besatzungsbehörde bekannt und welche Schritte gedenkt sie zu ergreifen, um den wertvollen Wald für die Pfalz zu erhalten und die neuen erheblichen Kosten abzuwehren?"

Am 20. Februar 1921 antwortete die deutsche Reichsregierung: „Da aus einem Schreiben des Generals Degoutte klar hervorging, dass die Forderung eines Divisionsübungsplatzes unabänderlich beschlossene Tatsache war, erachtet das Reichsschatzministerium die Hergabe des in der bayrischen Pfalz, bei den Orten Fischbach -Ludwigswinkel - Eppenbrunn gelegenen, auf etwa 3000 Hektar groß geschätzten Waldstreifens als das kleinere Übel, da bei ablehnendem Standpunkt mit Sicherheit mit Requisition von wertvollem Kulturland gerechnet werden muss."

Die Angelegenheit wurde sofort mit der bayrischen Kreisregierung in Speyer erörtert, die die Auffassung des Reichsschatzministeriums teilt. Die Reichsvermögensverwaltung hat dem französischen Oberkommando mitgeteilt, dass die Reichsregierung einer ausdrücklichen Anforderung des in Frage kommenden Geländes und der dazu verlangten Anlage nachkommen werde, wonach sie gemäß Artikel 8 des Rheinlandabkommens verpflichtet sei.

Am 30. Mai 1921 erfolgte von Seiten der Franzosen die Anforderung des Geländes mit der Direktive, die Anlage bis zum 15. März 1922 fertig zustellen. Im August 1921 begannen die Arbeiten, für die man Arbeiter aus dem gesamten süddeutschen Raum zusammengezogen hatte. Sie waren in Ludwigswinkel und Fischbach untergebracht, zahlreiche Tanzsäle wurden für sie in Schlafsäle verwandelt. Dreißig Lastwagen und zwei Schleppmaschinen waren ununterbrochen im Einsatz, um das benötigte Baumaterial vom Bahnhof Rumbach-Bundenthal ins Lager Ludwigswinkel zu bringen.
 

Für den Bau des Truppenlagers wurden Arbeiter - hier beim Verlegen der Wasserleitung - aus dem gesamten süddeutschen Raum im Pfälzerwald zusammengezogen. 


Um die Versorgung des Lagers sicherzustellen wurde vom Saarbrunnen eine neue Druckwasserleitung mit Pumpstation verlegt, ein Wasserreservoir gebaut und für die Abwasserversorgung oberhalb des Saarbacher Weihers die erste Kläranlage in der Region errichtet. Am Ende verfügte das Lager auf Wunsch des französischen Armeebischofs Rémond selbst über eine eigene Kirche. 1927 waren in dem „Camp de Ludwigswinkel" 16 000 Mann stationiert, das entspricht der heutigen Einwohnerzahl des ganzen Dahner Felsenlandes.

„Wer es nicht gesehen hat, macht sich kaum eine richtige Vorstellung. Es nimmt einen Platz ein so groß wie Dahn. Da reiht sich Baracke an Baracke, jede 50 Meter lang und 12 Meter breit, da stehen massive Gebäude, Lazarett und Generalshäuser. Auch eine Kirche fehlt nicht. Zwischendurch ziehen sich chaussierte Straßen, gut kanalisiert, mit einem Wort: es ist eine Stadt, die da in einzig schönen Wäldern versteckt liegt", heißt es in einem zeitgenössischen Brief.

„Das nahe Ludwigswinkel hat sich seit der Besetzung der Rheinlande durch französische Truppen zu einer Soldatenkolonie entwickelt. Da durchhallt denn gar oftmals die Wasgauberge dumpfer Geschützdonner, der sich an felsenbesetzten Höhen bricht, oder es dröhnen die Landstraßen einsamer Waldtäler vom Hufschlag und Wagengerassel endloser Kolonnen von Marokkanern und Algeriern, die fast Tag für Tag das früher so weltfremde Grenzgebiet durchziehen. Hier in des Waldes tiefster Einsamkeit steht ein Haus am Wege und heischt des Himmels Schutz - einst von Sonntagsfrieden umjubelt und nur in den Zeiten des Krieges und der Soldatenmanöver aufgeschreckt - das Reißler Forsthaus, der Grenzsitz unserer pfälzischen Forstbehörde. Heute hat es den Waldesfrieden mit dem lärmenden Getriebe der gegenüberliegenden Soldatenkolonie vertauscht. Höfe und Dörfer in der Runde bangen um ihre Existenz", schreibt der große Förderer des damals noch jungen Pfälzerwald-Vereins, Hermann Kohl, in dem 1929 im Deil Verlag erschienenen Buch „Die deutsche Pfalz am deutschen Rhein".

Insgesamt hatte die Errichtung des Lagers „Camp de Ludwigswinkel" 13 Millionen Goldmark gekostet, die außerhalb der Reparationskosten aufgebracht werden mussten.
 

Das Camp im Wald bei Ludwigswinkel beherbergte ein Camp Infanterie und eine Abteilung Artillerie der französischen Armee.


Am 31. Januar räumten französische und belgische Truppen die erste Zone des Rheinlandes. Zur endgültigen Räumung kam es aber erst am 30. Juni 1930, immerhin fünf Jahre früher als es der Versailler Vertrag vorsah. Zu diesem Stichtag verließen die französischen Truppen auch Ludwigswinkel, das Lager stand leer, die kleine Versorgungsbahn, die fast zehn Jahre zwischen Bundenthal und Ludwigswinkel mehrmals täglich unterwegs gewesen war, wurde bereits im November stillgelegt.

Der Bezirkslehrerverein Pirmasens hatte die geniale Idee, aus dem Lager ein „Kinderdorf für die ganze Pfalz" werden zu lassen. „Zweifellos wird der geplante mehrwöchige Schul- und Werkunterricht in dem dortigen herrlichen Waldgebiet mit seinem angenehmen Sommerklima und mit den anregenden und erfrischenden Bädern in den Weihern von vorzüglichem körperlichem und geistigem Einfluss auf die Jugend sein. Die gesundheitliche Rückwirkung und Anregung eines solchen Waldaufenthaltes, die bleibende Erinnerung an die gemeinschaftlich erworbenen Handfertigkeiten in Arbeit und Spiel, der frohstimmende Eindruck sonnendurchglänzter herrlicher Buchen- und Eichenwaldungen und der wohltuende Eindruck der weit sich hinziehenden grünen Wiesentäler, belebt von murmelnden Gewässern und blitzenden Weihern, wird für die Kinder der Pfalz ein Erlebnis und bleibende Erinnerung für ihr ganzes Leben werden", hieß es. Doch der Vorschlag stieß bei der Kreisregierung in Speyer auf taube Ohren. Der Gemeinde Ludwigswinkel fehlte das nötige Geld, um die Baracken umzunutzen und auf dem Gelände Industrie anzusiedeln. So wurden die Baracken samt Inventar versteigert und abgebrochen, das Gelände aufgeforstet. Der Fischbacher Pfarrer Johannes Wagner bemühte sich vergeblich, die Lagerkirche für die Ludwigswinkler Katholiken zu erhalten.

Wohl die letzte Baracke aus dem „Camp de Ludwigswinkel" steht heute noch in Rumbach und dient der Klettergilde als Vereinsheim. 1948 kaufte die Kriegerwitwe Rosa Ganster aus Fischbach mit ihren drei Mädels diese Holzhütte als „Franzosenbaracke von Ludwigswinkel" und ließ sie in der Hauptstraße 14 in Fischbach aufbauen. Die Dachpappe wurde durch Ziegel ersetzt und Fensterläden machten aus der einstigen Soldatenbehausung ein schmuckes Häuschen mit vier großen Zimmern und einem großen Flur. Zu dieser Zeit standen in Fischbach noch vier dieser Baracken. „Die berühmteste war die Lagerhalle von Odilo Lambert", erzählt Rudolf van Venrooy, der Enkel der Rosa Ganster. Als sein Vater Anfang der 50er Jahre beschloss, ein richtiges Haus in der Hauptstraße 14 zu bauen, wurde die Baracke 1954 an den zwei Jahre zuvor wiedergegründeten Rumbacher Musikverein verkauft, der sie im Wald am Ortseingang von Rumbach als Vereinsheim wieder aufbaute.

Von dem Lager selbst sind in Ludwigswinkel keine Spuren mehr zu entdecken. Lediglich die festen Häuser und das ehemalige Lazarett stehen noch. Das Krankenhaus diente viele Jahre der Arbeiterwohlfahrt (AWO) als Müttergenesungsheim und war bis vor Kurzem ein Übergangsheim für Aussiedler aus Russland. Heute steht das Haus leer. Die Kaserne der Wachkompanie übernahmen die „Lederwerke Wasgau" als Gerberei, Anfang der 80er Jahre wurde sie zu einem Ferienzentrum mit Eigentumswohnungen ausgebaut. 
veröffentlicht in:
Pirmasenser Zeitung
vom 21. Juni 2008
© Lilo Hagen