Die schöne Müllerin
 
Ein Weihnachtsmärchen
 
In den Zeiten, als die Armen noch arm, die Reichen noch reich und fern des Wasgaus ein gerechter und gütiger Kaiser regierte, da gab es in Fischbach schon eine recht große Getreidemühle. Der Müller war früh verstorben und hatte eine blutjunge, bezaubernde Frau zurückgelassen, die mit all den ihr zur Verfügung stehenden Kräften versuchte das Werk des Müllers weiterführte. Unterstützt wurde sie nur von einem Knecht, einem großen blonden Kerl, der nur wenige Jahre jünger war als sie selbst. Ohne ihn wäre die junge Müllerin wohl kaum in der Lage gewesen, die Arbeit zur Zufriedenheit der Kundschaft auszuführen. Ihr gesunder Menschenverstand und ihre Freigiebigkeit gegenüber allen Schwachen hatte schon bald dafür gesorgt, dass die kritischen Stimmen im Dorf versummt waren. Selbst die knorrigen alten Besserwisser hatten nichts an der schmucken jungen Frau auszusetzen.
Wenn es die schöne Müllerin gewollt hätte, so wäre sie nur allzu bald nicht mehr allein gewesen. Doch keiner von all den Freiern aus dem ganzen Wasgau, die immer wieder auf ihrem Hof herumlungerten, fand Gnade vor ihren Augen. Den meisten ging es ohnehin nicht um das liebe Herz oder das schöne Gesicht der jungen Frau, sondern viel mehr um den gut gefüllten Geldsack, den ihr der verstorbene Mann hinterlassen hatte und den sie mit viel Kraft und Ausdauer immer praller werden ließ.
Der Knecht allerdings, der hatte so seine eigenen Methoden, diesem Freiervolk Füße zu machen. Wenn auch die Müllerin es gar nicht so recht bemerkte, so war sie doch überrascht, das immer weniger dieser lästigen Kerle, die sie regelrecht umlagerten, auf dem Hof auftauchten. Bis eines Tages auch der letzte, der Sohn des Dahner Schultheißen, es vorzog, sein Jagdrevier in eine andere Gemeinde zu verlegen. Die Müllerin fragte nicht, der Knecht sagte nichts und doch waren sie beide sehr zufrieden, dass der Hof nicht länger von einer Horde nutzloser Herren, die bewirtet werden wollten, bevölkert war.
Ohne es sich selbst eingestehen zu wollen, hatte sie den Knecht lieb gewonnen. War er doch stets freundlich, hatte ein gutes Herz und immer ein offenes Ohr für die kleinen Sorgen der Kinder aus dem Dorf. Auch mit den Tieren bewies er viel Geschick. Der Hund ließ sich von ihm die verletzte Pfote verarzten, die Katze brachte ihm ihre Jungen und selbst der flügellahme Vogel erholte sich unter seiner Fürsorge.
Doch er war der Knecht und sie die Müllerin, die Herrin, das zeigte er ihr immer wieder deutlich. Nie ließ er auch nur den geringsten Zweifel aufkommen, dass er etwas anderes für sie empfand als tiefen Respekt. Er nahm seine Mahlzeiten in der Küche ein, doch sobald er seinen Teller leergegessen hatte, stand er auf und verließ den Raum, jedoch nie, ohne sich vorher bedankt zu haben.
Oft schaute die junge Frau aus dem Küchenfenster, sorgsam verborgen hinter den schmucken Gardinen, und sah dem Knecht bei seiner Arbeit zu. Wie er die mit Getreide gefüllten Säcke in die Mahlkammer schleppte und anschließend das fein gemahlene Mehl im Sackleinen zurück auf die Karren der wartenden Bauern brachte. Immer ein freundliches Wort mit den Besuchern wechselnd, immer fröhlich und guter Dinge.
Wenn die Arbeit in der Mühle getan war, dann reparierte er das Dach des Hühnerstalls oder flickte die Balken in der alten Scheuer. Nie war er untätig. Oft beobachtete ihn die Müllerin, wenn er am Hackklotz stand, das Brennholz für den Winter richtend und dabei dem Hofhund so manches Stückchen Wurst zukommen ließ. Manchmal hielt er auch in der Arbeit inne, um der kleinen Kathrein vom Nachbarhof aus einem Holzscheit ein Puppchen zu schnitzen.
So lebten sie denn einige Jahre zusammen, die Herrin und ihr Knecht, und nie war im Dorf auch nur ein böses Wort gefallen, ein übler Tratsch entstanden. Niemand hätte es gewagt, der schönen Müllerin etwas anzudichten.
Als es wieder einmal Weihnachten wurde und die Häuser des Dorfes und die umliegende Landschaft unter einer dicken Schneeschicht lagen, da saßen die beiden an den langen Winterabenden oft zusammen in der Küche. Der Knecht schnitzte Kochlöffel und Schüsseln, die Müllerin war über den Webstuhl gebeugt oder ließ die Spindel des Spinnrades tanzen. Am Tag vor Heilig Abend hatte die Müllerin einen duftenden Tee aus getrockneten Apfelstückchen, Hagebutte, Zimt und Walnusskernen aufgebrüht, den beide mit viel Honig gesüßt zu genießen wussten. Die Müllerin erzählte von dem Brauch, der manche Kinder vor dem zu jener Zeit meist offenen Kamin ihre Schuhe abstellen ließ. Ob er denn nicht daran glaube, dass ihm das Christkindchen etwas in die Schuhe legen würde, wollte die Müllerin wissen. Doch der Knecht winkte lächelnd ab. Das alles halte er nur für dummen, alten Aberglauben, sagte er.
Die Müllerin aber ließ nicht locker und brachte ihn schließlich dazu, seine großen, selbstgeschnitzten Holzschuhe vor den Kamin zu stellen.
Als der Knecht am Morgen des Heiligen Abends in die Küche kam, da duftete es bereits nach frisch gebackenen Weihnachtsbrödle und die Milch dampfte heiß in ihrem Topf. Die schöne Müllerin aber, die stand mit verschämtem, hochrotem Gesicht und barfüßig bis an den Hals in den viel zu großen Holzschuhen ihres Knechtes vor dem Kamin.
So haben die beiden ihr Glück gefunden. Noch heute schwärmen die Männer im Dahner Felsenland von der Schönheit der Fischbacher Mädchen und die jungen Frauen aus den Dörfern des Sauerbach- und Wieslautertales drehen sich gerne nach den groß gewachsenen, prächtigen Kerlen aus Fischbach um. So wirkt es noch heute, das Erbe der bildschönen Müllerin und ihres edlen Knechtes.