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"Das 42er kommt das Wiesenthal rauf" heißt dieses Bild - die
Straße ist als Hammerstich zwischen Bundenthal und
Rumbach bekannt.
 
Dieses Foto entstand am Weißen Sonntag 1947, zeigt also die
letzte Erstkommunion von Pfarrer Leist in Bruchweiler, bevor er im Oktober 1947 versetzt wurde.
Pfarrer Leist als Vertreter katholischen Widerstandes 
 
"Am Freitag hat der Satan im Radio gesprochen"
Montag wäre Pfarrer Eduard Leist 100 Jahre alt geworden - Gegen Nazis opponiert, von Franzosen und Amerikanern verurteilt
 
Eine der Gemeinden, die dem Naziterror auf ganz eigene Weise Widerstand leistete ist Bruchweiler-Bärenbach. Die überwiegend katholische Bevölkerung orientierte sich an ihrem Pfarrer Eduard Leist. Am Montag wäre Leist, der Bruchweiler von 1935 bis 1947 als  Seelsorger und später auch für kurze Zeit als Bürgermeister diente, 100 Jahre alt geworden.
Bereits während seiner Kaplanszeit in Kusel war Leist den Nationalsozialisten unangenehm aufgefallen. Eine bereits angeordnete Verhaftung wurde am 30. Januar 1933 im letzten Augenblick durch den Staatssekretär Imbt rückgängig gemacht. Doch Leist musste nun des öfteren seine Predigtvorlagen der Polizei zur Einsicht vorlegen. Er wurde nach Schifferstadt versetzt, doch auch hier entspannte sich die Situation nicht. Als er den Sohn des SA-Führers wegen frecher Lügen bestrafte, wurde er von dem SA-Mann heftigst beschimpft. Leist musste sich vor der Gendarmerie verantworten, wobei der Sohn der Lüge überführt werden konnte und der Pfarrer unbestraft blieb. Während seiner Tätigkeit als Lehrer entfernte Leist einen Hitlerjugendführer, der in Religion die Christenlehre verspottet hatte, aus dem Unterricht. Der so gemaßregelte Schüler schrieb daraufhin einen Brief an das Bischöfliche Ordinariat in Speyer, in dem er den Pfarrer beschimpfte. Die Angelegenheit kam vor Gericht, wo der Vater  sein Bürschchen  derart zur Rede stellte, dass die Anklage fallengelassen wurde. Ein von der SA geplanter Überfall auf das Pfarrhaus fand wegen des Röhm-Putsches nicht statt.
 
Gegen Goebbels gesprochen
Am Ende aber hatte die NSDAP in ihrem Bemühen, Leist aus Schifferstadt zu entfernen, Erfolg. Mit der Qualifikation „für Schifferstadt unmöglich“ wurde der couragierte Pfarrer nach Bruchweiler versetzt. Hier war man glücklich, nach fünf Jahren „pfarrerloser“ Zeit wieder über einen Seelsorger zu verfügen, so dass keiner den Pfarrer anzeigte, der mit seiner scharfen Kritik am Nationalsozialismus schon sehr bald zu verstehen gab, welch Geistes Kind er war. So nahm Leist zu einer Rede des Propagandaministers Joseph Goebbels, in der dieser gegen die katholische Geistlichkeit wetterte, öffentlich Stellung. „Am Freitag Abend hat der Satan im Radio gesprochen“, erklärte Leist. Selbst diese provozierende Äußerung blieb für den Seelsorger ohne Folge, denn in ganz Bruchweiler war kein SS-Mann zu finden. Einer Infiltration durch die braunen Machthaber beugte der kluge Geistliche vor, indem er nach jeder Werbeveranstaltung der SS die einzelnen Familien seiner Gemeinde persönlich aufsuchte.
Der kritische Priester fand einen breiten Rückhalt in der Bruchweilerer Bevölkerung und wurde vor Zugriffen der Nazis immer wieder geschützt. So informierte ihn der damalige Bürgermeister Gregor Zwick von jeder geplanten Durchsuchung des Pfarrhauses und jeder beabsichtigten Einsichtnahme in die Predigtunterlagen. Auch über Spitzelbesuche der Nazis in seinem Gottesdienst war Leist immer bestens unterrichtet.
Eines der wenigen Fotos, die es von Pfarrer Leist gibt, entstand
 im Jahr 1939.
Bei Evakuierung verhaftet
Als er sich am 1. September 1939, kurz nach dem Überfall auf Polen, mit einem persönlich Vertrauten über die politische Situation, die diesen Überfall erst möglich gemacht hatte, unterhielt, wurde er durch das offene Fenster von einem der damals in Bruchweiler stationierten Westwallarbeiter belauscht. Dieser verständigte umgehend die Polizei, die schon kurze Zeit später eintraf und die Gestapo hinzuziehen wollte. Da in der Nacht zuvor jedoch der Evakuierungsbefehl für die sogenannte Roter Zone hinter dem Westwall eingetroffen war, konnte Leist mit der Bruchweiler Bevölkerung abreisen. Auf dem Weg ins thüringische Exil hielten sich die Evakuierten im Oktober 1939 in Motten bei Fulda auf. Einige saßen in einem Gasthaus zusammen, als die vom Gastwirt, dem dort tätigen Ortsgruppenleiter, informierte Polizei auftauchte und den Pfarrer verhaftete. Auch am Ziel der Reise, Zeulenreda in Thüringen angelangt, stand Leist unter Beobachtung. Hier musste er sich vor der Gestapo wegen Abhaltung einer politischer Versammlung, die sich als Gottesdienst erwies, verantworten.
Nach dem Frankreichfeldzug durften die Bruchweiler im Sommer 1940 in die Heimat zurück kehren. An Allerheiligen wurde Leist, als er seine Kirche für den Gottesdienst betreten wollte, von einem protestantischen Hitlermädchen aus der Nachbargemeinde vor der Kirchentür mit „Heil Hitler“ angebrüllt. Leist fragte sie, ob sie denn früher auch immer die katholischen Geistlichen gegrüßt habe. Als sie verneinte, meinte er: „Dann brauchen Sie heute auch nicht zu grüßen“.
 
„Deutschen Gruß“ nicht erwidert
Diesen Sachverhalt zeigte ein mithörender Bahnbeamter, ebenfalls aus der Nachbargemeinde, bei der Polizei an. Die Gestapo wurde tätig und verhaftete Leist. „Denen habe ich gründlich meine Meinung gesagt“ kommentierte der streitbare  Gottesmann nach seiner Rückkehr. Leist wurde wegen diesem Vorfall vor das Gericht in Neustadt zitiert, von wo aus man ihn ins KZ nach Dachau überführen wollte, es aber am Ende bei einer Geldstrafe von 500 Reichsmark „wegen Nichterwiderung des deutschen Grußes“ beließ.
Am 22. März 1945 rückten amerikanische Truppen nach Bruchweiler vor, einen Tag später besetzten sie den Ort, ohne auf Widerstand zu stoßen. Die Amerikaner ernannten Pfarrer Leist zum Bürgermeister, was er bis 1946 auch blieb.
Im Herbst 1947 fand sich Leist dann vor einem französischen Militärgericht in Neustadt wieder, wo er wegen Aufnahme von deutschen Soldaten, die aus französischer Gefangenschaft geflohen waren, zu vier Monaten Gefängnis verurteilt wurde.
Nach dem Ende des zweiten Weltkrieges waren viele deutsche Soldaten an der Westfront in französische Gefangenschaft geraten. Immer wieder versuchten Inhaftierte aus den Lagern zu fliehen, um in die Heimat zurückzukehren. Dabei führte der Weg oft über Bruchweiler, denn es hatte sich inzwischen herumgesprochen, das der dort lebende Ortspfarrer den Flüchtlinge Hilfe gewährte.
 
Flüchtlingen geholfen
In einem Kalenderbuch aus dem Jahr 1946 haben sich die Kriegsgefangenen eingetragen, die in Bruchweiler Hilfe erfuhren. Auf der ersten Seite hat Erich Elmers aus Bremen am 25 August 1947 niedergeschrieben, was viele der Flüchtlinge bewegte. „An dieser Stelle möchte ich im Namen aller Kameraden, die vor und nach mir in diesem Hause von dem liebenswürdigen Herrn Pfarrer und seiner hilfsbereiten Bruchweiler Bevölkerung körperlich, vom ersten vor allem seelisch, erfrischt wurden, diesen guten Menschen und wahren Christen meinen herzlichsten Dank aussprechen. Vor allem mich, der in den langen Jahren der Gefangenschaft in tiefster Seele schon fast verhärtet war, hat dieser Empfang nach den ersten Schritten auf deutschem Boden tief bewegt und so Gott will, eine seelische Gesundung eingeleitet.“
Es folgen die Namen von 532 Männern aus ganz Deutschland, die für kurze Zeit auf ihrem Weg zu ihren Familien in Bruchweiler Station machten, im Pfarrhaus, in der Kirche und selbst im Glockenturm versteckt, mit Nahrung und Kleidung versorgt wurden,  bis sich eine Möglichkeit zur Weiterreise ergab.  
Einige Flüchtlinge wurden auf ihrer weiteren Flucht aufgegriffen, so dass die Alliierten schon bald erfuhren, wo sie Unterschlupf gefunden hatten. Es kam zu einer Hausdurchsuchung im Bruchweiler Pfarrhaus, bei der man auch Flüchtlinge entdeckte. Leist wurde daraufhin verhaftet und in das Militärgefängnis nach Neustadt gebracht, wo er verurteilt wurde. Von den vier Monaten Gefängnis gewährte man für drei Monate Strafaufschub. Strafmildernd wirkte sich bei dem Urteil aus, dass Leist während des Krieges auch französische Soldaten aus deutscher Kriegsgefangenschaft über die Grenze nach Frankreich geschleust hatte.
Für Leist machte es keinen Unterschied, welche Nationalität oder welche Konfession die Hilfesuchenden vorzuweisen hatten. Er lebte und handelte unbeirrt nach seiner christlichen Überzeugung. Zeitzeugen berichten, dass die Hilfe die Leist den französischen Soldaten gewährte, von ihm nicht als Widerstand gegen Hitler gewertet wurde. Er half, ebenso wie den deutschen Soldaten, aus Mitgefühl und Mitmenschlichkeit. Dass er dabei mehr als einmal sein Leben aufs Spiel setzte, hat ihn dabei nicht beirrt. Sein Handeln macht der Nachwelt jedoch deutlich, dass in einem   Regime wie dem des Nationalsozialismus alles Handeln eines wahren Christen zum Widerstand wird. 
Leist durfte nach all den Vorkommnissen nicht in Bruchweiler bleiben und wurde zum 1. Oktober 1947 nach Weidenthal versetzt. Am 29. Oktober 1971 verstarb der Pfarrer, der drei Jahre zuvor in den Ruhestand gegangen war, in Marpingen. Bis zu seinem Tod haben viele der Bruchweilerer Gemeindeglieder den Kontakt zu ihrem bemerkenswerten Pfarrer gehalten. 
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So sah der Innenraum der PfarrkircheHeilig Kreuz
 früher aus.

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Die Pfarrkirche Heilig Kreuz, hier in einer Aufnahme
 von 1952.
 
Stellvertreter des Widerstandes
Matthias Christmann aus Bruchweiler, der heute Mathematik und Physik in München studiert, hat sich noch als Schüler des OWG im Rahmen einer Facharbeit mit dem Thema „Widerstand der katholischen Kirche“ intensiv mit dem Leben und Wirken Leists auseinandergesetzt. Dabei sei ihm schnell klar geworden, dass es keinen großen, organisierten Widerstand, keine geschlossene Opposition gegen das Regime gegeben habe. „Widerstand im Nationalsozialismus ist gleichzusetzen mit persönlichem Mut, einem „Gegen den Strom schwimmen“ von einzelnen, die deshalb Verfolgungen ausgesetzt waren. An Pfarrer Eduard Leists Schicksal wird deutlich, dass die Nationalsozialisten keine Sekunde zögerten, ihre Gegner auszuschalten und dass ihr Zugriff allumfassend war“, so Christmann.  „Bereits am Tag der Machtergreifung durch die NSDAP wurde die Verhaftung des relativ unbedeutend erscheinenden Kaplans angeordnet. Dieses Vorgehen hätte Eduard Leist einschüchtern können, ebenso wie die folgenden Verhöre und Gerichtsverhandlungen. Doch er blieb unbeirrt bei seinen, häufig auch öffentlichen, Stellungnahmen gegen das Regime. Die Standfestigkeit von Pfarrer Leist, sein unbeugsamer Mut, seine tätige Nächstenliebe, die Lebensgefahr bedeutete, all dies rechtfertigt, ihn als einen Stellvertreter des katholischen Widerstands zu würdigen. Hervorzuheben ist auch die Geschlossenheit, mit der die Bruchweiler Bevölkerung hinter ihrem Pfarrer stand“, so das Resümee Christmanns. 

 

ZUR PERSON

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Geboren am 4. Februar 1902 in Marpingen/Saar;
Priesterweihe am 1. Juli 1928 in Speyer;
Kaplan in Steinfeld: 15 Juli 1928;
Kaplan in Mittelbexbach: 1. Dezember 1928;
Kaplan in Homburg: 15. März 1929;
Kaplan in Speyer, St. Josef: 12. Februar 1930;
Kaplan in Kusel: 16. Juli 1930;
Kaplan in Schifferstadt: 16. Juli 1933; Lokalkaplan in Bruchweiler: 16. Juli 1935; Pfarrer in Weidenthal: 1. Oktober 1947; Resignation 1. September: 1957;
Kurat in Mechtersheim: 16. Juli 1958; Pfarrer: 6. Juli 1960;
Resignation: 1. August 1968;
gestorben als Pfarrer i. R. in Marpingen am 29. Oktober 1971.  

 

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veröffentlicht in:
Die RHEINPFALZ
vom 2.Februar 2002
© Lilo Hagen

Widerstand mit Holzschuhen